Dr. Peter Schulte im Interview: Kampfbegriff Sekte

Dr. Peter Schulte im Gespräch mit Dr. Elias Rubenstein über Kirchenaustritt, Kirchenkritik, die Verflechtung von Kirche und Staat, Sekten, staatliche, katholische und evangelische Sektenbeauftragte, Neue Religiöse Bewegungen, Kampfbegriff Sekte.

Gesamtes Interview mit Dr. Peter Schulte: Kampfbegriff Sekte.

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Zusammenfassung des Interviews:

Rubenstein: Was verstehen Sie persönlich unter Sekten?

Schulte: Es gibt für mich zwei verschiedene Herangehensweise an das Thema Sekten. Zum Einen eine sehr wissenschaftlich-analytische Herangehensweise, die Sekten unter dem Aspekt ihrer Funktion versteht. Da werden Sekten als das bezeichnet, was nicht dem Mainstream bzw. der vorherrschenden Religiosität entspricht. In der Vergangenheit wurde der Sektenbegriff eher als Beispiel für eine bestimmte philosophische Richtung oder religiöse Schule verwendet. In der Bibel wird von der Sekte des Nazareners und auch von Paulus als Rädelsführer der Nazarener-Sekte berichtet. Auf der anderen Seite geht es eher um eine Zuweisung. Der Begriff Sekte wird als Kampfbegriff benutzt um bestimmte religiöse Gruppen mit negativen Zuweisungen zu etikettieren. Das gab es nicht nur in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, wo man bestimmte Gruppierungen, die aus Asien oder aus Amerika kommen, Stichwort „Scientology“, als Sekte bezeichnet hat. Im Grunde hat man damit gemeint, dass es sich um eine religiöse Strömung handelt, die offenbar den Menschen nicht gut tut.

Rubenstein: Woher kommt die weitverbreitete Angst vor der Gefahr von Sekten?

Schulte: Dieser Sektenbegriff als Etikettierung für religiöse Strömungen, die offenbar in der Gesellschaft gefährlich sind, ist keine neue Erscheinung der heutigen Zeit. Das gab es schon im Mittelalter, wo die protestantischen Bewegungen, die aufgekommen sind oder auch zum Beispiel die Hutterer als protestantische Bewegung in Tirol, die ja auch in der Kirche oder auch im Zusammenhang mit politischer Aktivität als Sekte und auch als Häresie bezeichnet wurde, da sie dem Mainstream der Religiosität nicht entsprochen hat. Der Sektenbegriff wurde stets als Kampfbegriff benutzt um bestimmte Gruppen damit zu etikettieren. So auch die Sektenreferate der Neuzeit, die katholische Kirche, evangelische Kirche, die Elterninitiativen, die privaten Initiativen, die sich aus bestimmten Motiven mit Neuer Religiosität beschäftigt haben, die jedoch im Mainstream in die Richtung gehen, Neue Religiosität als etwas darzustellen, das für den Menschen nicht so gesund ist, denn „nur bei uns in der Kirche“ liegt das Heil. Das hat auch damit zu tun, dass offenbar bestimmte herrschende Religionen der Ansicht sind, dass sie dieses Monopol über den Begriff von Kirche und Religion für sich gepachtet zu hätten.

Rubenstein: Geht von diesen sogenannten Sekten aus wissenschaftlicher Sicht eine reale Gefahr aus?

Schulte: Es gibt keine wirklichen Untersuchungen, die von Gefahren sprechen. Wenn man von Gefahren spricht, dann muss man über alle Religionen sprechen, auch die jetzt herrschenden. Denn da sind bekanntlich die größten Gefahren, die in der Zeitung zu lesen sind. Ich will mir nicht anmaßen über alle Religionen zu sprechen, doch hat jede Religion auch Schattenseiten. Ich glaube auch nicht, dass Religionen bestreiten würden, dass so etwas wie Missbrauch oder wo destruktive Elemente bei ihnen vorhanden sind. Aber das muss man im Kontext aller Religionen sehen und nicht in einer einzigen. Von daher glaube ich, dass das nur die Betonung auf die Destruktivität in Sekten eigentlich von der jeglichen Problematik ablenkt, dass geschlossene Systeme, wie sie zum Beispiel in der katholischen Kirche zu finden sind, diese Destruktivität innerhalb der Kirche fördern. Siehe Bischof Krenn, siehe die ganzen Missbrauchsfälle in Boston, 25.000 an der Zahl. Dies wird von der Kirche als einzelne Entgleisung bezeichnet, während hingegen in Sekten, natürlich da ist das offenbar, würde dies an der Gang und gäbe stehen. Das finde ich für die Diskussion nicht hilfreich.

Rubenstein: Was ist von sogenanntem Aussteiger-Berichten zu halten, die man immer wieder in den Medien sieht?

Schulte: Die Aussteiger werden immer weniger und es sind hauptsächlich die, die aus Scientology kommen. Jedoch kommen die größten Aussteiger immer aus den eigenen Reihen, siehe Hubertus Mynarek oder Eugen Drewermann. Da gibt es einige, die man nennen könnte. Jeder Aussteiger hat seine Berechtigung und seine Erfahrung. Es ist schwierig im Einzelfall wirklich zu beurteilen, was der wirkliche Hintergrund des Ganzen ist. Man müsste alle Beteiligten zu Wort kommen lassen um sich ein objektives Bild von der Situation machen zu können. Nur einen einzelnen Aussteiger auftreten zu lassen ohne die Gruppen, die es betrifft, um ihre Meinung kundzutun, verzerrt aus meiner Sicht das Bild.

Rubenstein: Gehören Sie aktuell einer religiösen Bewegung an?

Schulte: Ich bin überhaupt nicht religiös. Ich bin ein Sozialwissenschaftler, der sich mit der Materie beschäftigt, welche Funktion übt Religion in der Gesellschaft aus und wie wird Ko-Religion in der Gesellschaft kommuniziert? Das ist mein Hauptanliegen. Ich habe überhaupt gar keine religiöse Intention auch wenn mir dies immer wieder nahegelegt wird.

Rubenstein: Waren Sie einmal Mitglied einer Kirche?

Schulte: Ja, ich war wie die meisten von uns katholisch. Ich bin getauft und habe nie irgendeine große Verbindung zur Kirche oder eine Nähe zur Kirche verspürt.

Rubenstein: Warum sind Sie dann ausgetreten?

Schulte: Wir haben damals studiert und für uns war das keine Alternative in der Kirche zu sein. Für uns war Kirche, katholisch sein, verkrustet, zu bieder, zu konservativ.

Rubenstein: Sie haben die Begriffe „Beamtensekte, Politikersekte, Saunasekte, Sekte der Sektenbeauftragte“ geprägt. Können Sie uns etwas dazu erzählen?

Schulte: Mit dieser Polemik möchte ich sagen, dass ich diesen Sektenbegriff nicht unbedingt auf religiöse Gruppen anwenden würde, sondern dass das Sektenhafte, oder wo man sagt, da werden Leute nicht gut behandelt oder sie verändern sich oder sie müssen nur Dinge machen, die ihnen nicht passen, dass das eigentlich Bereiche sind, die man auch aus anderen Kontexten kennt, wie zum Beispiel in der Arbeitswelt, wo man sich oft in Situation befindet, wo man nicht mehr Herr der Lage ist,
sondern sich dem Dogma der herrschenden Regeln anpassen muss und Widerstand wird dabei nicht geduldet. Das sieht man besonders in der Beamtenschaft, die funktioniert nur, wenn man sich demütig den Weisungen der Vorgesetzten unterwirft. Sobald man seine eigene Meinung entwickelt oder eine eigene Vorstellung oder Sichtweise hat, hat man das Gefühl, dass dies nicht gut ist. Es gibt auch Situationen, dass sich in Gruppen, in Sportvereinen, in welchen Bewegung auch immer, geht es auch um akzeptiert werden, ein Teil der Gruppe werden. Man möchte vielleicht auch eine Führungsposition ausüben. Wenn man merkt, dass das so nicht geht und dass sich Widerstand regt, sobald man sich in eine andere Richtung bewegt, hat man mit Konsequenzen zu rechnen. Ich finde diesen Sektenbegriff sollte man nicht allein auf religiöse Gruppen anwenden, sondern eher als allgemeines Merkmal von bestimmten Gruppen bezeichnen.

Rubenstein: Gibt es ihrer Meinung nach eine Verbindung zwischen staatlichen und kirchlichen Sektenbeauftragten?

Schulte: Ja absolut, das kann man sagen. Zum Beispiel gibt es Politiker, die stark auf diese Sektendiskriminierung aufspringen, die Broschüren veröffentlichen, wo sie alle katholischen und evangelischen Sektenreferate aufführen und völlig unkritisch diese publizieren. Da wird gar nicht hinterfragt, welche Denkweise diese Sektenbeauftragten an den Tag legen. Es gibt eine Allianz von Staat und Kirche, indem zum Beispiel in Deutschland der Staat die Kirchensteuer eintreibt. Da gibt es historisch gewachsene Verbindungen. Es gibt insbesondere in Bayern eifrige Politiker, die sich auf die Fahne heften, dass sie den Kampf gegen neue religiöse Bewegungen aufnehmen.

Rubenstein: Sind ihrer Meinung nach die staatlichen Sektenbeauftragungsstellen zeitgemäß?

Schulte: Es gibt gar nicht so viele. In Österreich sind es zwei oder drei, die Bundesstelle für Sektenfragen in Wien ist die größte staatliche Einrichtung. Da arbeiten sieben oder acht Leute. Die gibt es seit zwanzig Jahren. Was haben die gemacht? Die zeichnen sich eher durch ihr Schweigen aus und positionieren sich überhaupt nicht. Die beschreiben sich als Bundesstelle für Sektenfragen und wenn man ihre Berichte liest, sieht man dass da wenig Substanz enthalten ist. Die tun sich nicht wirklich outen und sie tun aus meiner Sicht nicht wirklich das Problem aufzeigen, was sie haben. Was nützt es dem Leser, wenn da steht Scientology ist in den Anfragenprofilen am häufigsten zu finden, wenn nicht einmal die Qualität der Anfragen analysiert wird. Womit kommen die Leute eigentlich in die Beratung und haben sie wirklich so ein Problem, wie es in der Öffentlichkeit dargestellt wird, also die in einer scientologischen Gemeinschaft sind und nicht mehr herauskommen? Das ist so eine Grundfrage, die seit zwanzig Jahren nicht beantwortet wird und auch nicht beantwortet werden wird.

Rubenstein: Was bezwecken Großkirchen mit ihren Sektenbeauftragungsstellen?

Schulte: Die Großkirchen waren die ersten, die damit angefangen haben, Neue Religiosität, „religiöse Strömungen unserer Zeit zu betrachten“. Aber im Grunde genommen, wenn man die Literatur anschaut, da ist von ihren Dogma der Nächstenliebe nicht mehr so viel zu spüren. Beim Handbuch über religiöse Gemeinschaften, dem Hauptwerk der evangelischen Kirche, geht es eher darum, Gruppen auszugrenzen und sie als nicht-christlich darzustellen. Sofern jemand evangelisch werden will, ist zuvor ein Gespräch erforderlich. Es wird eher aus einer kritischen Perspektive betrachtet. Als beispielsweise Scientology nach Europa gekommen ist, da gab es überhaupt keine Diskriminierung von Scientology, weil es diese Referate nicht so gab. Dieser Hype, was alles in Sekten passieren kann, ist überhaupt noch nicht so präsent gewesen. Das ist erst entstanden als diese Sektenreferate in Deutschland entstanden sind, dass man im Zuge von eigener Existenzsicherung und Positionierungen auf dieses Feld der Neuen Religiosität aufgesprungen ist und gemeint hat man muss ich von allem Religiösen irgendwie abgrenzen, was nicht die Hauptströmung ist, anstatt sich einfach einmal die Gemeinsamkeiten anzuschauen.

Rubenstein: Was empfehlen Sie neuen religiösen Bewegungen um aus diesem Schattendasein zu kommen?

Schulte: Ich glaube das ist fast unmöglich. Sicher hat sich auch einiges durch die staatlichen Anerkennungen geändert Stichwort „Zeugen Jehovas“, auch die „Moon Bewegung“ hat den Status der Bekenntnisgemeinschaft erhalten. Diese sind auch nicht mehr so im Fokus der Beobachtung. Ich kann diesbezüglich keine Empfehlung aussprechen, die Gruppen müssen selbst eine Strategie finden, wie sie aus diesem Dilemma herauskommen. Die Strategie, die ich bisher sehe, ist bestimmte Annäherung, dass man versucht sich zu zeigen, sich zu öffnen. Ich glaube, dass die Zeit und die Veränderungen und der Generationenwechsel in den Referaten sicher eine Bewegung mit sich bringen wird, die eher in Richtung einer liberalen Haltung gegenüber alternativer Religiosität stattfindet. Ich weiß nicht, ob Maßnahmen, Tagungen oder Fernsehbeiträgen wirklich einen Sinn machen. Im Grunde spielt sich diese Diskussion über Sekten auf einer öffentlichen Ebene statt. Die meisten Bürger interessiert das nicht. Jugendliche interessiert das überhaupt nicht, wenn Sektenbeauftragte in die Schule kommen und ihnen etwas über Sekten erzählen. Auf der medialen und politischen Ebene positionieren sich Leute – da geht es um Macht, Herrschaft und vorherrschende Meinungen. Es ist ein deutsches und auch europäisches Phänomen sich gegen Religionen zu stellen, die nicht so groß sind und die vielleicht keine 2000 Jahre Geschichte aufweisen um sich zu positionieren, denen das Leben schwer zu machen.

Dr. Peter Schulte promovierte in Sozialwissenschaften. Er ist Soziologe und war 12 Jahre Sektenbeauftragter der Informations- und Beratungsstelle der Österreichischen Landesregierung in Tirol. Schwerpunkt seiner Tätigkeit war die Beratung von Erwachsenen und Jugendlichen in Bezug auf sogenannte Sekten und Psychogruppen, neuer Religiosität und Spiritualität sowie Okkultismus und Satanismus. Des Weiteren ist Schulte Autor der Bücher „Die Akte Scientology“ und „Neue Religiöse Bewegungen – Gesellschaftliche Dramatisierungsstrategien und soziale Wirklichkeit“.

Prof. Dr. Hubertus Mynarek im Interview: Das Menschenrecht der Religionsfreiheit

Prof. Dr. Hubertus Mynarek im Gespräch mit Dr. Elias Rubenstein über Kirchenaustritt, Kirchenkritik, die Verflechtung von Kirche und Staat, moderne Inquisition, Sekten und Sektenbeauftragte, Verleumdung und Verunglimpfungen von nichtkirchlichen Gruppierungen und weltanschaulichen Minderheiten.

Rubenstein: Herr Prof. Mynarek, die Religion kann auch in der heutigen Zeit als besonders kontroverses und emotionsgeladenes Thema eingestuft werden. Was veranlasste Sie als Universitätsprofessor der katholischen Theologie aus der Kirche auszutreten und ein engagierter Kirchenkritiker zu werden?

Mynarek: Es war gar nicht so leicht, diesen Schritt des Kirchenaustritts zu vollziehen. Das geht schon aus der Tatsache hervor, dass es vor mir, also vor 1972, kein katholischer Universitätsprofessor der Theologie in Deutschland, Österreich oder der Schweiz gewagt hat, diesen Schritt zu tun. In Österreich, anders als in Deutschland, bedeutete ja dieser Schritt die Zwangspensionierung durch das konforme Vorgehen von Kirche und Staat. Es bedeutete also der Verlust des Lehrstuhls, meiner ordentlichen Professur und damit zunächst einmal die Arbeitslosigkeit, verbunden mit dem Verlust des Kontakts zur akademischen Jugend, sodass das Magazin DER SPIEGEL damals zu meinem Fall schrieb, ich sei der jüngste Rentner unter den Theologieprofessoren des 20. Jahrhunderts.

Dem damals regierenden Papst Paul VI. und dem Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz, Kardinal König, schrieb ich zum Abschied von der Kirche einen Offenen Brief, den man auf meiner Homepage www.mynarek.de nachlesen kann. Geschrieben habe ich ihn u.a. unter dem Aspekt: „Amicus mihi Plato, magis amica veritas!“ (Ein Freund ist mir Plato, ein größerer die Wahrheit!).

In der Tat ging es mir bei meinem Kirchenaustritt primär und grundsätzlich um die Wahrheit. Ich hatte mich nach leidvollen Erlebnissen unmittelbar nach dem Krieg entschlossen, katholischer Priester zu werden, weil ich aufgrund meines damals sehr mangelhaften Wissens über die Welt der Religionen, die Philosophie und die Naturwissenschaften glaubte, es müsse doch eine Institution geben, die die Menschen zu Gott führt und die Wahrheit verkörpert. Aus einer streng katholischen Familie stammend, meinte ich damals, die Kirche sei diese wahre Institution. Mein enthusiastischer ethischer Idealismus blendete damals, 1945, auch alle Fehler und Missstände in der Kirche einfach aus.

Kurz gesagt: Ich bin aus der Kirche ausgetreten, weil die Katholische Kirche weder die Wahrheit noch die höchste und humanste Ethik verkörpert.

Rubenstein: Als Sie katholischer Priester und Dekan der katholischen Fakultät an der Universität Wien waren, haben Sie unterschiedliche Facetten der Kirche und des Bildungssystems hautnah erlebt. Unterstützen Ihrer Ansicht nach diese Einrichtungen die Entfaltung des freien Denkens?

Mynarek: Als katholischer Priester, Seelsorger, Student und Assistent an diversen Universitäten sowie danach als Professor an den Universitäten Bamberg/Bayern und Wien habe ich tatsächlich viele Facetten der Kirche und des Bildungssystems erlebt.

Soweit die Kirche das Bildungssystem des Staates beeinflusst, und das tut sie sehr stark, muss man auch ganz logisch folgern, dass die Kirche auf vielfältige Weise das freie Denken behindert. Nehmen Sie die Universitäten als die höchsten Bildungsinstitute im Staat. Ein Theologe kann ja wissenschaftlich noch so versiert sein, der Staat kann und darf ihm keine Professur an einer seiner Universitäten geben, wenn dieser Theologe nicht das Placet des zuständigen Bischofs für diesen Posten erhalten hat. Der Bischof aber handelt im Auftrag der Amtskirche und verleiht die Lehrbefugnis an einer Universität nur einem kirchlich einwandfreien, rechtgläubigen und im Sinne der Kirchenmoral integren Theologen. Was aber einwandfrei, rechtgläubig und moralisch integer bedeutet, liegt ganz im Ermessen des Bischofs bzw. der Römischen Kurie, wenn diese bereits einen Verdacht bezüglich möglicher ketzerischer Ansichten dieses Theologen geschöpft hat. In der Konsequenz bedeutet das, dass nicht die wissenschaftlich Qualifiziertesten, sondern in der Mehrheit die weniger Versierten, aber kirchlich braven Theologen einen Lehrstuhl erhalten. Der Staat ist hier, anders als bei nichttheologischen Fakultäten, einfach nur ergebener Vollstrecker der Maßstäbe des Bischofs bzw. des Vatikans.

Aber die Kirche will natürlich auch Einfluss auf die nichttheologischen Bereiche, im Grunde auf die ganze Bildungswelt ausüben. Daher hat sie sich in den meisten Konkordaten (also Staatskirchenverträgen) vorbehalten, immer auch eine bestimmte Anzahl von Lehrstühlen in der Philosophie, der Geschichte und anderen wichtigen Disziplinen der Universitäten und Fachhochschulen mit ihren Leuten zu besetzen. Das sind dann die sogenannten Konkordatslehrstühle, von denen aus im Sinne der Kirche die „heilige“ Lehre verbreitet wird.

Aber damit nicht genug! Auch all die Schultypen unterhalb des Hochschulwesens (Schulen, Gymnasien, Lyzeen usw.) müssen ja katholische und evangelische Religion lehren, und dazu braucht der Religionslehrer einen kirchlichen Auftrag, eine kirchliche Erlaubnis, in der katholischen Kirche die missio canonica genannt. Einen unvoreingenommenen Religionsunterricht, der die ganze reichhaltige Welt aller Religionen gerecht berücksichtigt und nicht immer wieder mal betont, dass aber die katholische Konfession bzw. christliche Religion allein die volle Wahrheit beinhaltet, wird es unter diesen Umständen kaum geben.

Aber selbst wenn der katholische Theologe grünes Licht von der katholischen Kirche für einen Universitätslehrstuhl erhalten hat und sogar schon auf ihm sitzt, kann die Kirche mit Hilfe des Staates ihn wieder von seinem Lehrstuhl herunterholen, sobald er ihr aus irgendeinem Grund nicht mehr passt. Sie wird vor allem Gründe des Glaubens und der Moral vorschieben (z.B.: Dieser Theologe habe ketzerische Ansichten vertreten, nicht in Übereinstimmung mit dem kirchlichen Lehramt doziert, oder er habe ein zu libertinistisches Verhalten an den Tag gelegt). Gründe über Gründe finden sich bekanntlich gegen jeden, der irgendeiner Obrigkeit nicht mehr passt!

In meinem Fall war es einzig und allein das bloße Faktum meines Kirchenaustritts, der mich vermeintlich für das weitere Lehren der katholischen Dogmatik und Moraltheologie automatisch unfähig machte. Dazu schrieb der bekannte Völkerrechtler, der Wiener Universitätsprofessor Antoniolli in der Zeitschrift „Profil“, dass das Konkordat zwischen katholischer Kirche und österreichischem Staat in diesem Punkt verfassungswidrig sei, wenn ein Wissenschaftler vom Range Mynareks wegen seines Kirchenaustritts den Lehrstuhl verliert.

Ich hatte sogar noch den Antrag gestellt, meinen Lehrstuhl für Religionswissenschaft im Rahmen der damaligen Universitätsreformen aus der theologischen Fakultät herauszunehmen und ihn zusammen mit dem Universitätsfach Indologie von Professor Oberhammer und dem Lehrstuhl für Judaistik von Professor Schubert zu einer neuen Mini-Fakultät zu machen, da doch mein Lehrstuhl sowieso ein Fremdkörper innerhalb der katholisch-theologischen Fakultät sei, weil ich als Religionswissenschaftler doch nicht das Dogma der Überlegenheit des Katholizismus über alle anderen Religionen verkünden könne. Aber auch das lehnten Staat und Kirche und sogar der Oberste Gerichtshof Österreichs radikal ab. (Sehr viel umfassender habe ich in meinem Buch „Herren und Knechte der Kirche“, Ahriman-Verlag, Freiburg, 3. Auflage: 2013, zu dem Themenbereich der hier gerade behandelten ersten zwei Fragen Stellung genommen).

Übrigens ist in Deutschland, anders als in Österreich, der Lehrstuhlverlust eines Theologieprofessors, der die Kirche verlässt, anders geregelt. Laut Konkordat wird man in Österreich dann zwangspensioniert, in Deutschland kann man aus einem solchen Grund den Lehrstuhl nicht verlieren, man kann sogar in der theologischen Fakultät verbleiben oder nach eigenem Wunsch einen gleichwertigen Lehrstuhl in einem anderen Fachbereich erhalten.

Rubenstein: Von der katholischen und evangelischen Kirche wird bekanntlich eine Sektenhysterie geschürt, obwohl sie selbst, soziologisch betrachtet, Sekten sind. Welches Ziel verfolgt diese moderne Inquisition durch sogenannte Sektenbeauftragte in Bezug auf nichtkirchliche Gruppierungen und weltanschauliche Minderheiten?

Mynarek: Sie haben recht! Die katholische und die evangelische Kirche wollen es nicht zugeben, aber auch sie sind Sekten. Die frühchristliche Gemeinde war eine Sekte der jüdischen Religion und verstand sich auch als solche. Der Jude Paulus aus Tarsus war dann am meisten verantwortlich für den Streit und die Trennung zwischen Judenchristen und Heidenchristen. Aus den heidenchristlichen Anfängen mit von der jüdischen Religion allmählich immer stärker abweichenden Inhalten entstand dann der Frühkatholizismus mit einer von den römischen Cäsaren immer intensiver unterstützten klerikalen Schicht von Priestern, Bischöfen und Patriarchen und schließlich Päpsten. Während Jesus eine klerikale Kaste rundweg ablehnte und noch der Hebräerbrief des Neuen Testaments bekräftigt, dass es nur einen Priester gibt, den Hohepriester Jesus Christus, kommt in der katholischen Kirche die Zweiklassengesellschaft von Priesterhierarchie und willfähriger Schafsherde mit jedem Jahrhundert zu immer krasserer Ausgestaltung bis hin zum absoluten Höhepunkt absolutistischer Herrschaft mit der im Ersten Vatikanischen Konzil 1870/71 erfolgten Proklamation der Dogmen der Unfehlbarkeit des Papstes und seines universalen Jurisdiktionsprimats.

Kein Wunder, dass angesichts eines solchen arroganten Anspruchs die Inquisition einen konstitutiven Bestandteil des römischen Systems bildet und man aufgrund des Alleinanspruchs auf die absolute Wahrheit Sektenbeauftragte ernennt und mit dem Auftrag ausstattet, nichtkirchliche Gruppierungen und weltanschauliche Minderheiten scharf zu observieren, intensiv zu kritisieren und dabei vor Verleumdungen und Verunglimpfungen nicht zurückschreckt. Das geht in Deutschland zum Beispiel so weit, dass auch der Staat selbst staatliche Sektenbeauftragte ernennt, die nur auf Sekten außerhalb der beiden Großkirchen fokussiert sind.

Ziel und Zweck der Sektenphobie, der Warnung der Kirchenmanager vor den Gefahren der Sekten bis hin zu ihrer Verleumdung bei den staatlichen Behörden ist es natürlich, die Sekten nicht groß werden zu lassen, ihren Einfluss zu minimieren, um sie von den staatlichen Fleischtöpfen fernzuhalten, sie an der Erhebung zu Körperschaften öffentlichen Rechts zu hindern, weil sie ja dann an den ungeheuren Privilegien mit Milliarden von Dotationen, wie sie die Kirchen erhalten, ebenfalls Anteile bekämen.

Rubenstein: Aus theologischer Sicht entbehrt den Großkirchen die religiöse Legitimation, da Jesus weder eine Kirche noch Priester gestiftet hat. Ist Ihrer Ansicht nach diese folgenschwere Tatsache mitverantwortlich für die von der katholischen und evangelischen Kirche verbreitete Sektenphobie?

Mynarek: Die Sektenphobie der beiden Amtskirchen resultiert auch daraus, dass die Sekten, egal, wie man zu ihren Ansichten steht, vital, enthusiastisch, charismatisch, erfolgreich in ihrer Evangelisation erscheinen, während die beiden Großkirchen praktisch tot sind und nur durch den Staat und die Medien sowie nur durch vom Staat mitfinanzierte pompöse Kirchentage und Jahresjubiläen wie das Lutherjahr 2017 künstlich am Leben gehalten werden.

Rubenstein: Sofern Jesus wirklich gelebt hat, so kann mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass er als Prediger eher bestrebt war, die jüdische Religion zu verbreiten als eine neue Religion mit der Aufschrift „Christentum“ zu gründen. Inwiefern stehen die Auslegungen der christlichen Großkirchen im Widerspruch zur rekonstruierten Lehre von Jesus?

Mynarek: Jesus hat tatsächlich weder eine Kirche noch ein Priestertum gestiftet. Ja selbst als Gründer und Begründer des Christentums kann er nicht gelten, weil er gar nicht daran dachte, eine neue Religion, wie die christliche, aus der Taufe zu heben. Er war ein Wanderprediger, der die jüdische Religion vertiefen und deren religiöse Vorschriften vereinfachen und auf den Willen Gottes einheitlich zurückführen wollte.

Die Bibel ist zwar der größte Bestseller aller Zeiten, aber die Christen lesen sie kaum, die Katholiken am wenigsten. Sonst würden sie in den Evangelien finden, dass Jesus seinen Jüngern sogar die Heidenmission verbietet: „Geht (bei eurer Mission) nicht in die Städte der Heiden.“ Und der Syrophönizierin, die ihn bittet, ihre kranke Tochter zu heilen, hält er schroff entgegen: „Ich bin nur gesandt zu den Schafen des Hauses Israel.“ Er vergleicht dort die Heiden mit Hunden, die von den Tischen ihrer Herren, das heißt, der Angehörigen des auserwählten Volkes, die Abfälle abbekommen.

Paulus ist also der eigentliche Gründer des Christentums, der sich von der jüdischen Religion lossagte und viele Inhalte aus dem Heidentum übernahm, sodass eine neue Religion entstand, auch wenn die Herren beider Großkirchen sich alle Mühe geben, die Kontinuität zur jüdischen Bibel, dem sogenannten Alten Testament, künstlich am Leben zu erhalten. Auf der Grundlage des Paulinischen und Johanneischen Christentums hat der Katholizismus Jesus zu einem Popanz gemacht, hat ihn zu Jesus, dem Christus, zur zweiten Person der Gottheit und zum Gottesssohn gemacht, hat ihn in wider-, nein übernatürlicher Weise als vom Heiligen Geist gezeugt verkündet, zum Sohn einer unbefleckten Jungfrau erhoben, obwohl doch ihr Verlobter Joseph laut Aussage der Evangelien ob ihrer Schwangerschaft befremdet war, weil er wusste, dass er jedenfalls nicht als Erzeuger infrage kam. Der uneheliche Sohn eines kleinen jüdischen Mädchens wird von der Kirche zum Gott und Herren des Weltalls erhoben, seine Mutter zur Gottesgebärerin und Gottesmutter. Eine Karriere ohnegleichen und der größte Religionsbetrug aller Zeiten (siehe dazu H. Mynarek, Jesus und die Frauen, 3. Auflage, Essen 2008).

Rubenstein: Die Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht und sollte in demokratischen Staaten gewährleistet sein. Sehen Sie die Ausübung der Religionsfreiheit in Deutschland und Österreich aufgrund der Monopolisierung des Religionsbereichs durch die katholische und evangelische Kirche gewährleistet? Worauf führen Sie die Verknüpfung zwischen Kirche und Staat zurück? Welche Forderung in Bezug auf die Umsetzung von Religionsfreiheit würden Sie an eine entwickelte Demokratie stellen?

Mynarek: Formell sehe ich die Ausübung der Religionsfreiheit in Deutschland und Österreich und ebenfalls in der Schweiz nicht gefährdet. Allerdings ist es noch immer so, dass diese drei Staaten in vielen Hinsichten so tun, als ob die katholische und die evangelische Kirche die eigentlichen Religionen seien und deshalb auch in der Gesetzgebung privilegiert werden. Dabei sind diese beiden Großkirchen die Perversion der Religion. Je mehr sich eine zunächst religiöse Gruppe institutionalisiert und organisiert, umso mehr treten Macht- und Profitstreben an die Stelle echter Religiosität und Spiritualität. Auch hier ist Jesus ein Korrektor, wenn ihm in den Evangelien das Wort in den Mund gelegt wird: „Wenn du beten willst, ziehe dich in dein Kämmerlein zurück!“ Das große Tamtam der öffentlichen Prozessionen und Wallfahrten zu Orten an denen Maria oder andere „Heilige“ erschienen sein sollen, dienen im Grunde nur dem Profitstreben der Organisatoren dieser Veranstaltungen und der Erhaltung der gläubigen Massen im Zustand der Unaufgeklärtheit. Religion muss die ganz individuelle und private Angelegenheit eines Menschen sein. Nur so ist sie eine Möglichkeit der Selbstverwirklichung, der wahren Individuation. Denn jede hochorganisierte Organisation, und die katholische ist die im weiten Feld der Religionen höchstorganisierte, beschneidet auch die Freiheit ihrer Mitglieder durch religiöse Vorschriften, Dogmen und Rituale.

Aber der Staat und die den Staat Regierenden orientieren sich an den Massen und suchen deshalb die Nähe zu den Kirchen, obwohl doch der Kirchenbesuch rapide schrumpft und nur noch Großveranstaltungen den gegenteiligen Anschein erwecken sollen. Und auch die Kirche lebt, wie bereits erwähnt, nur noch von Kirchen- und Kultursteuern und in Deutschland von etwa 14 Milliarden Euro, die jährlich zusätzlich zu den 9 – 10 Milliarden aus der Kirchensteuer in die Kassen der evangelischen und der katholischen Kirche fließen. Es ist eine Illusion, dass die Staatenlenker angesichts ihrer Legitimationsdefizite glauben, die Kirche zu brauchen. Die Kirche allerdings unterliegt keiner Illusion, wenn sie sich seit der Konstantinischen Wende im 4. Jahrhundert an den Staat klammert, sodass sie selbst die Kirchenväter der ersten Jahrhunderte als die „große Hure“ bezeichneten. Denn dieses Gebilde Kirche beherbergt in seinen Mauern so wenig echte Religiosität, dass es ununterbrochen der Unterstützung durch den Staat bedarf.

Eine entwickelte Demokratie muss alle Religionen gleich behandeln, muss daher auch alle Missstände und Missbräuche in jeder Religion innerhalb eines Staates mit den gleichen Sanktionen belegen. Nicht, wie es nicht ganz selten passiert ist, dass katholische und evangelische Priester, die Kinder und Jugendliche sexuell missbrauchten, mit milderen oder gar Bewährungsstrafen durchkamen bzw. einfach nur auf einen anderen Seelsorgeposten versetzt wurden.

Ein Staat darf sich an keine Religion, an keine Kirche halten. Er hat einer einwandfreien Ethik und Humanität zu dienen und diese Prinzipien und Ideale, nämlich die der Ethik und der Humanität, sind gleichbedeutend mit der Charta der Menschenrechte. Ein Papst, der bei allem Anschein der Neutralität von UNO, UNESCO, EU usw. immer noch zusätzlich daran interessiert ist, Sympathien für seine Kirche einzuheimsen, hat vor diesen globalen Institutionen nichts zu suchen. Umso befremdlicher ist es, dass der Heilige Stuhl bis heute weder die UNO-Menschenrechtscharta noch die Europäische Menschenrechtskonvention unterschreiben hat, da aus seiner Sicht das Recht Gottes über den Menschenrechten steht! (siehe dazu vertiefend meine Bücher: „Vom wahren Geist der Humanität“, NIBE-Verlag, Alsdorf 2017; „Weltrangordnung und Humanität“, Verlag die Blaue Eule, Essen 2014; „Papst Franziskus – Die kritische Biographie“, Tectum-Verlag, jetzt aufgegangen in Nomos-Verlag, Marburg 2016; „Warum auch Hans Küng die Kirche nicht retten kann“ im selben Verlag).

Prof. Dr. Hubertus Mynarek, geboren 1929, studierte Philosophie, Psychologie und Theologie, promovierte in Theologie und habilitierte sich an der Universität Würzburg. Er lehrte als Professor Vergleichende Religionswissenschaft, Religionsphilosophie als auch Fundamentaltheologie an den Universitäten Bamberg und Wien und war Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Mynarek ist Religionswissenschaftler, Kulturphilosoph als auch Theologe und zählt zu den prominentesten zeitgenössischen Kirchenkritikern. Webseite: www.mynarek.de

Prof. Dr. Karlheinz Deschner: Kirche und Faschismus

Prof. Dr. Karlheinz Deschner klärt in diesem Video über die Kirche und die Verbindung zum Faschismus auf.

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Prof. Dr. Karlheinz Deschner, 1924-2014, wurde an der Universität Würzburg promoviert und hatte einen Lehrauftrag an der Universität Münster. Deschner war Schriftsteller religions- und kirchenkritischer Werke und wurde u.a. mit dem International Humanist Award der Internationalen Humanistischen und Ethischen Union ausgezeichnet, ebenso war er Mitglied der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Webseite: www.deschner.info

Dr. Elias Rubenstein: Religion and Peace (UNO World Interfaith Harmony Week)

Im Rahmen der World Interfaith Harmony Week der United Nations Vienna (VIC) 2014 erläutert Dr. Elias Rubenstein den Zusammenhang zwischen Religion und Frieden.

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Senator h.c. Dr. Dr. h.c. Elias Rubenstein promovierte in Wirtschaftswissenschaften für Internationales Management. Die Vorträge und Texte von Rubenstein thematisieren die religiöse und gesellschaftliche Aufklärung wie auch die Religionsfreiheit. Rubenstein ist Freiheits-Aktivist und wurde zum Amabassador for Peace der Universal Peace Federation ausgezeichnet. Für seine hervorragenden Verdienste und Leistungen wurden ihm die universitäre Würde des Ehrendoktorats und die akademische Ehre des Ehrensenats verliehen. Webseite: www.elias-rubenstein.com